Geschichte des Synchronschwimmens
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Erste Hinweise zum Ursprung des Synchronschwimmens liefert die griechische und römische Geschichtsschreibung. In bildreicher Sprache beschreibt Martial eine Vorführung der Antike:
„Ein Nereidenreigen zeigt in gefälliger Flut einen mit geradem Zahn drohenden Dreizack, einen Anker. Man sieht ein Schiff, glaubt Ruder zu sehen und des Lakoner Gestirns willkommenes Licht.“
Wie der Sporthistoriker Erwin Mehl herausfand, fluteten die Römer ihre Amphitheater, um einer großen Zuschauermenge den Genuß einer solchen Darbietung zu ermöglichen. Da die Schwimmerinnen nicht bekleidet waren, nahm mit zunehmender Verbreitung des Christentums die Kritik an solchen Schauschwimmen zu. Im Mittelalter gerieten sie dann in völlige Vergessenheit.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird das Synchronschwimmen in Form des Reigenschwimmens wieder bekannt. Zu dieser Zeit ein reiner Männersport, dürfen Frauen das Reigenschwimmen, typischerweise im Bruststil, nur heimlich ausüben. In einer Zeitschrift aus dem Jahre 1816 schreibt Karl Heinitz:
„Das schönste Schauspiel ist es für Zuschauer, wenn sie Jünglinge und Männer im Spiegel des Wassers sich üben und in mannigfaltigsten bildlichen Kunstfiguren sich gruppieren sehen.“
Erste, nach festen Regeln ablaufende Wettkämpfe finden 1891 in Berlin und 1892 in London statt, wobei auch hier nur Männer teilnehmen dürfen. Als sich das Reigenschwimmen aber zum Figurenlegen entwickelt, sind Frauen aufgrund ihrer günstigeren Gewichtsverteilung im Vorteil. Männer, meist mit untergehenden Beinen kämpfend, werden daher nach und nach aus dieser Sportart verdrängt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden in England, Kanada, Holland, Deutschland und Frankreich Meisterschaften im „Scientific and Ornamental Swimming“ durchgeführt. Dabei zeigen die Schwimmerinnen bewegte oder unbewegte Bilder (geometrische Figuren und Ornamente). Musik dient dabei zur Untermalung und der Bilderwechsel wird durch Handzeichen am Beckenrand angezeigt.
1907 tritt die australische Wettkampfschwimmerin Annette Kellerman im New Yorker Hippodrome als tanzende Meerjungfrau in einem mit Wasser gefüllten Glastank auf. Die Vorführungen der mehrfachen Meisterin über diverse Lang- und Kurzstrecken sind sehr beliebt. Bei einem dreimonatigen Engagement in Chicago wird sie zu 55 Shows pro Woche verpflichtet. Drei Jahre später wird die Trendsetterin und rebellische „unter Wasser Ballerina“ in Boston Harbor verhaftet, da sie in einem freizügigen Einteiler für den damaligen Geschmack zu viel Bein zeigt. Diese Verhaftung macht sie aber nur noch berühmter, und sie erhält Engagements in der noch jungen Filmindustrie. In Neptune’s Daughter (1914), A Daughter of the Gods (1916) und Queen of the Sea (1918) spielt sie die Hauptrolle.
Inspiriert durch Kellerman gründet Katherine „Kay“ Curtis, eine ehemalige Turmspringerin und Turnerin, 1923 den ersten Wasserballett Club in Chicago. Die erste grosse Aufführung der „Modern Mermaids“ findet 1934 im Rahmen der Weltausstellung in Chicago statt. 60 Schwimmerinnen nehmen daran teil und erobern das nationale und internationale Publikum im Sturm. In den Medien wird erstmals der Begriff „Synchronized Swimming“ verwendet. Als der neue Sport immer beliebter wird, entwickelt Curtis erste Wettkampfregeln, die auf den Bewertungskriterien basieren, die sie aus der Gymnastik, dem Turmspringen und dem Eislaufen kennt. 1936 veröffentlicht Curtis das erste Buch zum Synchronschwimmen unter dem Titel Rythmic Swimming.
Kurze Zeit später kann das Synchronschwimmen durch die von Billy Rose inszenierte Aquacade an der Weltausstellung 1939 in New York einen ähnlichen Erfolg feiern. Für das Musical im Wasser werden über Hundert SchwimmerInnen, TurmspringerInnen und SängerInnen verpflichtet. Stars der aufwändigen Show mit spektakulären Spezialeffekten sind die Olympia-Schwimmerin Eleanor Holm und der Olympia-Schwimmer Johnny Weismuller.
Richtig bekannt wird diese neue Art zu Schwimmen in den 40er und 50er Jahren durch Esther Williams. Die dreifache US Meisterin (u.a. über 100 Meter Crawl) verzaubert in Aufführungen und einer Reihe von kitschig-klassischen MGM „aqua musicals“ ihr Publikum. Die wichtigsten Erfolge feiert sie mit Bathing Beauty (1944), Neptune’s Daughter (1949) und im Film Million Dollar Mermaid, in welchem sie Annette Kellerman portraitiert. Insgesamt tritt sie in 26 Filmen auf.
In den folgenden Jahren entwickelt sich das Figurenlegen zum Kunstschwimmen. Das Kunstschwimmen ist – wie der Name verrät – kunstfertiger als das reine Figurenlegen. Es wird mehr getaucht und schwierigere Übungen werden ausgeführt.
1945 werden für das Kunstschwimmen Wettkampfbestimmungen aufgestellt und 1946 findet dann auch der erste Wettkampf statt. In Bern und Zürich rufen die ersten Vereine in den 50er Jahren das Kunstschwimmen ins Leben. Im Zuge der weltweiten Umstellung vom Figurenlegen zum Wettkampfsport, anerkennt die FINA (Fédération Internationale de Natation Amateur) 1968 das Synchronschwimmen offiziell als vierte Sparte neben Wasserball, Schwimmen und Turmspringen. Der Schweizerische Schwimmverband tut dasselbe im gleichen Jahr. 1972 werden erstmals Schweizermeisterschaften durchgeführt. 1973 finden die ersten Weltmeisterschaften, 1974 die ersten Europameisterschaften statt. An den olympischen Spielen 1984 in Los Angeles wird das Synchronschwimmen in den Disziplinen Solo und Duett eingeführt.
Ende der achtziger Jahre vollzieht sich erneut ein Wandel. Die Übungen werden noch anspruchsvoller, es wird mehr gedreht und geschraubt, die Küren werden immer schneller und höher, die Arm- und Beinbewegungen immer komplizierter. Das Kunstschwimmen wird zum Synchronschwimmen.
In Atlanta 1996 wird die Gruppe als olympische Disziplin eingeführt, dafür muss aber wieder auf die Disziplinen Solo und Duett verzichtet werden. Seit Sydney 2000 sind die Disziplinen Gruppe und Duett zugelassen.
Um die Jahrtausendwende verdrängen die Russinnen die bis anhin führenden Nationen USA, Kanada und Japan. Mit spektakulären Hebefiguren, rasanten und originellen Arm- und Beinbewegungen und kreativen Formationsverschiebungen und Übergängen setzen sie einen vor allem im artistischen Bereich revolutionären Trend.
Heute zählen Russland, Spanien und China zu den erfolgreichsten Nationen im Synchronschwimmen. Die weltweit besten Teams zeigen derzeit unglaublich schwierige Küren auf höchstem Niveau, sauber, fast perfekt, ausgeführt. Sie überzeugen mit äusserst originellen Choreographien und versetzen das Publikum regelmässig erneut ins Staunen.
Seit 1991 sind auch männliche Synchronschwimmer an nationalen Meisterschaften und Länderkämpfen zugelassen. Der Start auf Weltebene ist ihnen allerdings durch FINA-Regelungen noch untersagt.
Synchro Stars
Zu den bisher erfolgreichsten Sychronschwimmerinnen gehören Carolyn Waldo (CAN) und Tracy Ruiz (USA) mit je zwei olympischen Goldmedaillen im Solo und Duett und Sylvie Frechette (CAN) mit zwei olympischen Goldmedaillen im Solo.
Die Französin Virginie Dedieu, dreifache Weltmeisterin, fünffache Europameisterin und Bronzemedaillengewinnerin an den OS 2000 gehört ohne Zweifel ebenfalls in die Liga der Besten. Sie ist die erste und bisher einzige Athletin, die drei Solo-Weltmeistertitel in Folge gewinnen konnte.
Die Spanierin Gemma Mengual wird in ihrer Heimat zu Recht „la sirena“, die Meerjungfrau, genannt. Sie hat zwei Olympische Silbermedaillen (OS 2008) und 13 WM Medaillen gewonnen und ist fünffache Europameisterin.
Im Team ungeschlagen sind jedoch nach wie vor die Russinnen. Sie gewannen bis heute über 30 WM und noch mehr EM Titel. Svetlana Romashina gehört heute zu den besten Solistinnen der Welt.
Die erfolgreichste Schweizer Synchronschwimmerin ist die Buchserin Karin Randegger-Singer. Sie hat an den Olympischen Spielen in Los Angeles (1984) und in Seoul (1988) teilgenommen und ist mit olympischen Diplomen ausgezeichnet worden. Rahel Michel-Hobi hat an den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona den SC Flös vertreten. Magdalena Brunner durfte an den Olympischen Spielen 2004 in Athen und 2008 in Peking teilnehmen. Sie ist heute als Artistin beim Cirque du Soleil tätig.
Bekanntester Vertreter der männlichen Synchronschwimmer ist Bill May. Der Amerikaner holte sich mehrere nationale Titel in Duett und Team Events. Zusammen mit Kristina Lum gewann er ausserdem 1998 die Goodwill Games, 1999 siegte er an den Swiss und French Open. Bill May ist heute beim Cirque du Soleil als Synchronschwimmer in der „O“ Show in Las Vegas zu bewundern.
In der Schweiz gilt Stephane Mischler als bisher erfolgreichster Synchronschwimmer.